Schöner Türstehen
Nach den ersten Jahren der regelmäßigen Ausübung gerät auch der bisweilen unvorhersehbare Job des Türstehers zur Routine. Die Situationen wiederholen sich, die unübersichtlichen Momente werden dank der gesammelten Erfahrungen weniger bzw. lassen sich unaufgeregter und dezenter regeln. Von den wenigen unprofessionell zappeligen Gefahrensuchern in ihren Reihen einmal abgesehen, gehen die meisten Secus dann Wochenende für Wochenende ihrem Job recht unauffällig nach. Sie werden in ihrer Eigenschaft als Sicherheitspersonal von den Besuchern der Lokalität als zwar vorhanden, aber eben auch austauschbar wahrgenommen. Was zumeist nicht als beleidigend aufgefasst wird, sondern oft auch sehr recht ist: denn so hat man als Türsteher seine Ruhe.
Es gibt jedoch ganz spezielle Ausnahmen. Verfügt ein Türmann über ein gewisses Charisma oder auffällige körperliche Merkmale und steht sehr oft vor dem selben Club, kann er zur Ikone werden. Die Gäste nehmen ihn bewusst wahr, er ist dann mehr noch als der Name des Etablissements ein identitätsstiftendes Symbol für den anvisierten Ort der Partynacht. Tatsächlich habe ich es schon oft miterlebt, dass Kiezbesucher sich zwar bei Ausgehtipps nicht an den Namen des betreffenden Clubs erinnern, wohl aber an den davorstehenden Türmann: „Pass auf – einfach die Straße hoch, dann links, und bis zu dem Burgerbrater. Gleich daneben ist der Eingang; steht so’n super breit gebauter Typ mit Iro davor. Doch, das findest du, der steht da immer, der ist nett …“
Mein lieber Kollege Eddie – mit dem ich fast vierzehn Jahre lang das Vergnügen hatte, die Gäste vom „Rosch“ auf dem Hamburger Berg zu behüten – hat sogar beides: zum einen sticht er mit seiner tannenartig schlanken, zwei Meter in die Höhe ragenden Figur sofort ins Auge und zum anderen zaubert er den vorsprechenden Gästen mit seiner zwar bestimmten, aber auch immer humorvoll-ironischen Art stets ein Lächeln ins Gesicht. Wobei in diesem dann bei neuen Gästen oft auch ein nicht unerhebliches Maß an Erleichterung mitschwingt, wenn sie erkennen, dass dieser große Türmann trotz seines kantig-markanten Auftretens ein zutiefst freundlicher Mensch ist.
Kein regelmäßiger Gast betritt das „Rosch“ ohne zuvor einen Plausch mit Eddie abgehalten zu haben. Man fragt nach seinem Befinden, ob er irgendetwas braucht, ob die Schicht angenehm ist und so weiter. Und es sind nicht die üblichen, im Vorbeigehen gestellten, quasi rhetorischen Smalltalk-Fragen, auf die man im Prinzip mit Nonsens wie etwa „grün, es geht mir grün“ oder „das Auto war champagnerfarben!“ antworten könnte und trotzdem ein zustimmendes Nicken erhielte. Weil eigentlich gar nicht zugehört wird. Nein, die Gäste fragen ernsthaft und gehen erst rein, wenn sie sich vergewissert haben, dass es Eddie wirklich gut geht. Als zweiter Türkollege steht man dabei sozusagen im Schatten, um einmal ein Wortspiel zu bemühen. Die Anwesenheit wird gästeseitig mit einem kurzen, höflichen Nicken quittiert. Das ist bisweilen etwas irritierend.
Um einiges mehr irritiert sind die Gäste, wenn Eddie einmal nicht an der Tür aufzufinden ist. Sei es aus recht seltenen Urlaubsgründen oder weil er einfach einmal einen Tag frei haben möchte. Üblicherweise stehen vor der besagten Lokalität – wie es sich gehört – am Wochenende zwei Türleute. Sollte keiner der beiden eine zwei Meter hohe, schlanke Tannengestalt vorweisen können, irrlichtert der Blick des Gastes von einer Türfigur zur anderen, bis mit großen Augen und unsicherem Blick folgende Frage geäußert wird: „Wo’s Eddie?“ Präziserweise gehört zur Verdeutlichung der Gäste-Verunsicherung eigentlich noch ein Ausrufezeichen hinter das Fragezeichen: „Wo’s Eddie?!“
Die ersten paar Male an einem solchen Abend versucht man es dann noch mit einer sachlichen Entgegnung: „Eddie hat heute frei.“ Dies wird zumeist, wenngleich unter Protest und widerstrebend, akzeptiert: „Ah … ok … Hat er sich ja verdient. Aber nächste Woche ist er wieder da, oder?“ „Ich habe zwar die Dienstpläne jetzt nicht im Kopf, aber ja – ich glaube schon.“ Allerdings so etwa bei dem 23sten Gast, der großäugig „Wo’s Eddie?!“ fragt, fühlt man sich als Türsteher irgendwie herabgesetzt. So, als sei die Sicherheit nicht ausreichend gewährleistet. Als wäre man nur ein ungenügender Ersatz. Und man beginnt, den „Wosettis“ mit Sarkasmus zu begegnen: „Du, eben war Eddie noch da. Aber dann gab es dieses helle, bunte Licht am Himmel und schwupp: weg war er! Ich fürchte, er wurde von Außerirdischen entführt.“ Oder: „Wo’s Eddie?!“ „Du, eben stand er noch da vorn am Dj-Pult … Ja, nee, jetzt ist er da hinten beim Kicker. Hinter der Säule … Hast ihn nicht gefunden? Komisch, gerade war er kurz hier, ist aber wieder rein – ihr seid wohl aneinander vorbeigelaufen … Musst du wohl nochmal gucken.“ Fehlte Eddie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, übertrumpften sich die Türsteher bei der nächsten Dienstplanbesprechung gegenseitig mit der Anzahl der Fragenden. „Und, wie viele „Wosettis“ hattet ihr am Freitag? 26? Ha: wir kamen am Samstag auf 32!“
Einmal hängte mein Kollege Henning an einem Freitagabend ein Schild in den Eingang mit der Aufschrift: „Heute kein Eddie“, um die ewige Fragerei zu unterbinden. Leider vergaßen wir, es nach der Schicht wieder zu entfernen. Eddie war am darauffolgenden Abend „not amused“, fühlte sich verarscht. Das tat mir Leid. Aber irgendwie war das auch ziemlich lustig!
Doch irgendwann wurde mir klar: die Frage nach Eddies Verbleib ist keine Herabwürdigung der Leistung der übrigen Türkollegen. Es ist vielmehr der Ausdruck höchster Sympathie und tiefempfundenen Respekts gegenüber einem Sicherheitsbeauftragten, den sich dieser durch seine unbedingte Integrität über viele Jahre verdient hat. Ohne ihn ist der Club nicht vollständig. Erst Eddies Anwesenheit vor der Tür sorgt dafür, dass sich die Gäste richtig aufgehoben und vor allem wie zu Hause fühlen. Er ist eine Tür-Ikone.
Und davor, mein lieber Freund und Kollege, ziehe ich meinen Hut!